„Als ich zu schreiben begann, erkannte ich, dass der Ausdruck meiner selbst das genaue Gegenteil der Abgeschiedenheit, Entfremdung und Unterdrückung war, die mir die Verschleierung aufgezwungen hatte,“ so die iranische Autorin Ava Homa. In ihrem Beitrag zeigt sie verschiedene Protestformen auf mit denen Frauen im Iran um Freiheiten und Teilhabe kämpfen – eine davon ist Schreiben.
Im Dezember 2017 stieg Vida Movahedi, eine 31-jährige Mutter, in Teheran auf einen Stromkasten und hielt ein weißes Kopftuch, das sie an einen Stock festgebunden hatte, in die Luft. Während Menschen im ganzen Land gegen die Regierung von Hassan Rouhani demonstrierten, protestierte Viva Movahedi schweigend gegen den Zwang, ein Kopftuch tragen zu müssen. Movahedi wiederholte die Aktion im Januar 2018 und inspirierte auf diese Weise zahllose iranische Frauen, junge wie alte, zivilen Ungehorsam zu leisten. Sogar Frauen, die den Hijab aus Überzeugung tragen, stellten sich auf die Seite der Protestantinnen und machten sich damit für das Recht der Frauen stark, selbst über ihren Körper zu entscheiden. So entstand eine breite gesellschaftliche und politische Bewegung, in der sehr unterschiedliche Frauen zusammenkamen.
Da sich im Internet ein Foto von Mohavedi verbreitet hatte, konnte die Aktivistin identifiziert und inhaftiert werden. Offiziell wurden 2018 in Teheran 35 Frauen verhaftet, die gegen den Kopftuchzwang protestiert hatten. Aktivist/innen gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl höher liegt. Einige der Protestantinnen wurden verletzt, als Polizisten sie von den Stromkästen zerrten. Die 32-jährige Studentin Mariam Shariatmadari etwa berichtete, man habe ihr im Anschluss an ihre Verhaftung jegliche medizinische Behandlung verwehrt. Infolge der Proteste wurden viele Teheraner Stromkästen so nachgerüstet, dass man nicht mehr ohne Weiteres auf ihnen stehen kann.
Einem Bericht der iranischen Regierung zufolge sind 49 Prozent der Bevölkerung gegen den Hijab-Zwang. Das 1985 erlassene Gesetz verpflichtet alle Frauen im Iran, sich unabhängig von ihrem Glauben dem Islam gemäß zu kleiden. Der Hijab wurde durch das Gesetz nicht nur zu einem Objekt, an dem der Staat sein Verständnis vom Islam demonstriert, sondern auch zu einem Symbol für den weiblichen Widerstand gegen politische und religiöse Repressionen. Die sogenannten Kopftuchproteste von 2018 hatten die erste iranische Parlamentsdebatte zur Folge, in der über den Hijab-Zwang und die Freiheitsrechte der Frauen gesprochen wurde. Interessanterweise haben sich auch einige religiöse Führungspersönlichkeiten auf die Seite der Protestantinnen gestellt. Ihr Argument: Der Prophet Mohammed habe Frauen nicht dazu gezwungen, sich zu verschleiern.
Die Regierung hält jedoch weiterhin an ihrem Diktat fest und lässt die Einhaltung des Gesetzes streng überwachen. Jedes Jahr werden im Iran tausende von Frauen wegen eines „zu locker getragenen“ Hijabs strafrechtlich verfolgt. Teenager auf gemischtgeschlechtlichen Privatpartys werden von der „Sittenpolizei“ verhaftet, weil sie keinen Hijab tragen. Männern wiederum ist das Tragen bestimmter Kleidungsstücke untersagt, so sind etwa Shorts oder westliche Markenhemden per Gesetz verboten. Bis zum heutigen Tag sehen sich iranische Frauen, die selbst über ihren Körper entscheiden wollen, Anfeindungen ausgesetzt. Die Frauen, die 2017 und 2018 friedlich gegen die Zwangsverschleierung protestiert haben, wurden wegen Prostitution angeklagt. Auch ihre Anwältin, Nasrin Sotoudeh, sitzt inzwischen im Gefängnis.
Verhüllter Körper, verhüllte Stimme
Das Kopftuch hat eine lange und komplexe Geschichte. Schon in vorislamischer Zeit trugen Frauen im Persischen Reich eine Kopfbedeckung. Laut Fadwa El Guindi, Autorin des Buchs Veil: Modesty, Privacy and Resistance, wurden die ersten Kopftücher nachweislich im antiken Mesopotamien getragen. In Assyrien entwickelte sich das Kopftuch zu einem Statussymbol privilegierter Frauen. Bäuerinnen, Sklavinnen und Prostituierten war es gesetzlich untersagt, ein Kopftuch zu tragen. Auch Männer trugen und tragen Kopfbedeckungen als soziales Statussymbol, etwa bei den Tuareg in Nordafrika.
Mit den Jahren hat das Kopftuch sehr widersprüchliche Dinge repräsentiert: Rückständigkeit und Fortschrittlichkeit, Misogynie und Antikolonialismus, Widerstand und Gehorsam. Viele Frauen können sich inzwischen frei dafür entscheiden, ob sie einen Hijab tragen wollen oder nicht, ob sie ihn aus persönlichen oder politischen Gründen ablehnen oder ob sie ihn als Ausdruck von Freiheit, Unfreiheit, Unterordnung oder als Form des Widerstands begreifen. Der Stoff an sich bedeutet wenig. Es ist die Trägerin, die ihm Bedeutung verleiht.
In der jüngeren Geschichte des Iran erfolgte eine massive Politisierung des Kopftuchs. Um das Land zu verwestlichen, erließ Reza Schah 1936 ein Dekret, das alle Formen des Hijab streng verbot. Um das Land zu reislamisieren, verkündete Ayatollah Ruhollah Khomeini 1979, Frauen seien ab sofort verpflichtet, eine islamische Kleiderordnung einzuhalten. Reza Schah und Ayatollah Khomeini sind nur zwei von einer Vielzahl von Machthabern, die ihre Autorität zu konsolidieren suchten, indem sie in das Erscheinungsbild des weiblichen Körpers eingriffen. Als die iranischen Frauen auf Khomeinis Dekret mit groß angelegten Protesten reagierten, versicherte ihnen die Regierung, die islamische Garderobe sei „nur eine Empfehlung“. Aber 1980 wurde der Hijab in Regierungsbehörden sowie öffentlichen Ämtern und 1983 ausnahmslos überall verpflichtend.
Nie hat sich die iranische Gesellschaft für das Recht der Frauen starkgemacht, frei zu wählen. Wann immer sich Frauen gegen das Gesetz auflehnten, wie zum Beispiel bei einer großen Kundgebung in Teheran am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag, konnten die Proteste von den Herrschenden mühelos niedergeschlagen werden. Forderungen nach einem Ende des Hijab-Zwangs wurden von islamischen Gruppen als Ausdruck einer anti-islamischen Gesinnung aufgefasst. Linke Kräfte behaupteten, der Hijab sei ein Symbol für kulturelle Unabhängigkeit und die Ablehnung korrupter Royalisten, und erklärten, der Klassenkampf habe Vorrang vor den Rechten der Frauen. Viele Menschen schwiegen. Niemand schien sich dafür zu interessieren, was die Frauen wollten.
Schon immer wurde der Kampf der Frauen dafür, selbst entscheiden zu dürfen, fehlinterpretiert, sowohl im Iran als auch im Westen. Es gibt Menschen, die in der Schmähung des Hijab eine Form der Islamophobie sehen. Andere sagen, der Wunsch der Frauen, frei wählen zu dürfen, sei die Folge einer westlichen Verschwörung. Wieder andere argumentieren, er sei durch Männer motiviert, die Frauen „nackt“ sehen wollen. Als wären Frauen unfähig, Gleichheit und Autonomie aus ganz persönlichen Gründen zu wollen und einzufordern.
Und so mussten iranische Frauen in den 1980er Jahren zu ihrer Bestürzung erkennen, dass sie, obwohl sie dieselben politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme mit den Männern teilten, in ihrem Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter allein waren. Es war dieser Punkt, an dem das Schreiben noch wichtiger wurde als zuvor. Die auf sich allein gestellten, ungehörten Frauen erkannten, dass sie darauf angewiesen waren, die Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und die Spezifik ihres Leidens mit klarer Stimme zu benennen. Die Zwangsverschleierung drängte die Frauen noch tiefer in den verbotenen Garten der Erkenntnis. Der Biss in den Apfel war vollzogen.
Schreiben als Rebellion und Protest
Die persische Literaturtradition des 13. und 14. Jahrhunderts ist reich an Dichtern. Nach wie vor werden Autoren wie Rumi und Hafez international übersetzt und verehrt. Aber es waren Männer, die ein Monopol auf das geschriebene Wort hatten, weibliche Stimmen wurden unterdrückt. Die männliche Dominanz hat den literarischen Kanon nicht nur um mächtige weibliche Stimmen gebracht, sie hat auch dazu geführt, dass Frauen in ihrer literarischen Darstellung auf Wesen mit schönen Lippen, Augen und Haaren und ohne jede Handlungsfähigkeit reduziert wurden. Der Gesellschaft im Allgemeinen und den Männern im Besonderen fehlte der Zugang zu authentisch-weiblichen Erfahrungswelten. Zwischen den Geschlechtern gab es keinerlei Austausch.
Aber nicht nur die weibliche Stimme, auch der weibliche Körper blieb verborgen, im sogenannten andarnoonis, einem Teil des Hauses, den Männer – Besucher vor allem – nicht betreten durften. Frauen, die sich zeigten, brachten der Familie Schande. Und so wurden Frauen, die sich in die Öffentlichkeit wagten, als harjai bezeichnet – das Wort ist mehr oder weniger synonym mit dem persischen Begriff für „Prostituierte“. Wie sich die Abwesenheit von Frauen im öffentlichen Raum auf die Psyche einer Gesellschaft auswirkt, lässt sich nur mutmaßen. Von der Existenz einer Frau „erfuhr“ man jedenfalls nur als Mann auf der Suche nach einer Frau. Weibliche Körper und Stimmen waren lediglich Schattenbilder, deren Umrisse durch Andeutungen und Fantasien erzeugte wurden, wenn überhaupt. Wenn eine Frau vor einen Mann trat, musste sie verhüllt sein. Wenn sie schrieb, mussten ihre Worte versteckt werden. Dieses Denken lebt bis heute fort. Ein Beispiel dafür ist die Sprache, mit der etwa das staatliche iranische Fernsehen den Hijab-Zwang rechtfertigt: „Der Körper einer Frau ist wie ein Stück Schokolade, das bedeckt werden muss, damit sich keine Fliegen darauf niederlassen.“
Obwohl ihre Stimmen seit Jahrhunderten zum Schweigen gebracht und ihre Körper aus dem öffentlichen Raum verbannt wurden, haben iranische Frauen schon vor langer Zeit gelernt, sich durch das geschriebene Wort zu enthüllen. Es ist kein Zufall, dass die erste Frau, die öffentlich ihr Kopftuch abnahm, wenn auch nur vorübergehend, eine Dichterin war, die sich bereits befreit hatte, indem sie schrieb. Als Tahirih Qurrat al-Ayn (1814-1852) im Laufe einer Versammlung von Männern in Badasch, Provinz Mazandaran, ihr Haupt entblößte, löste sie einen Aufschrei unter den schockierten Betrachtern aus. Einige bedeckten ihre Augen, andere hielten sich die Ohren zu, manche flohen sogar vor der Gotteslästerung, die sie verkörperte. Ein Mann erhob sein Schwert gegen sie, während sich ein anderer, die Kehle durchschnitt, weil er die Schande nicht ertragen konnte.
Nach all den Jahren bleibt Tahirih Qurrat al-Ayn geheimnisumwoben. Man sah in ihr die erste Frau, die als Märtyrerin in ihrem Einsatz für das Frauenwahlrecht starb, man sah in ihr eine persische Jeanne d'Arc, eine iranische Florence Nightingale und eine irrationale Frau, „besessen von lüsterner Zügellosigkeit“. Tahirih wurde 1852 im Alter von 36 Jahren, nach fast vierjähriger Haft in Teheran, hingerichtet. Auf dem Höhepunkt ihrer Jugend und Kreativität wurde diese Rebellin in Einzelhaft gehalten, weil es keine Frauengefängnisse gab. Wofür auch, die Frauen standen überall im Land unter Hausarrest. Darüber hinaus war ihr Zugang zur Alphabetisierung eingeschränkt, und von höherer Bildung waren sie gänzlich ausgeschlossen.
Tahirih war die erste Frau, die dafür bestraft wurde, dass sie es wagte, den Raum, den man ihr zugewiesen hatte, zu verlassen. Auch iranische Schriftstellerinnen wurden für diese Überschreitung immer wieder gedemütigt. Sie wurden als verrückt abgestempelt, in den Selbstmord getrieben, ins Exil gezwungen, sie wurden eingesperrt und getötet. Frauen, die mit ihrer Meinung nicht zurückhalten, werden als salite und bi haia bezeichnet, wobei es sich um Schmähungen handelt, die Frauen vorbehalten sind. Wann immer Frauen zusammengefunden und miteinander gesprochen haben, wurden ihre Unterhaltungen als dummes Geschwätz abgetan. Unverständliches Geplauder wird bis heute als hamam-zananeh bezeichnet, der abwertende Begriff spielt auf die öffentlichen Frauenbadehäuser an.
Virginia Woolf hat bekanntlich gesagt, dass Frauen ohne ein eigenes Zimmer und eine gewisse finanzielle Stabilität nicht schreiben können. Obwohl ihnen weder das eine noch das andere beschieden war, begannen iranische Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts damit, ihre Texte zu veröffentlichen und ein Ende der Geschlechtertrennung einzufordern. Kunst zu schaffen, ein kraftvolles literarisches Werk hervorzubringen, erfordert Konzentration, Hingabe, schweißtreibende Arbeit – alles Dinge, die nicht passen wollen zu der gesellschaftlichen Erwartung an Frauen, hingebungsvolle Mütter und Ehefrauen zu sein. Und doch gelingt es iranischen Frauen, Literatur zu produzieren und in die Welt zu tragen. (Außerdem gehören sie inzwischen zu den am besten ausgebildeten Frauen im Nahen und Mittleren Osten.) Aber vielen literarischen Talenten ist die Möglichkeit zur Entfaltung bisher verwehrt geblieben, unterprivilegierten Frauen vor allem, die ethnischen und religiösen Minderheiten angehören. „Soll Simone de Beauvoir doch hierherkommen und ein Jahr lang so leben wie ich. Ich möchte mal sehen, ob sie dann noch in der Lage ist, eine einzige Zeile zu schreiben“, hat die prominente iranische Schriftstellerin Simin Daneschwar (1921-2012) in einem Interview gesagt.
Selbstenthüllung
Überall auf der Welt gibt es Frauen, die den Hijab freiwillig tragen. Iranischen Frauen wird dies seit fast 40 Jahren verwehrt. Ich schreibe diesen Text als kurdisch-iranische Frau, die ihre Verschleierung als eine Form des Zwangs erlebt hat, als Verweigerung von Autonomie. Aber ich habe erfahren, dass es eine Möglichkeit gibt, diese Autonomie zurückzugewinnen, die Unterdrückung durch die Zwangsverschleierung „rückgängig“ zu machen: den Akt des Schreibens.
Lassen Sie mich erklären: Mädchen, die ab dem achten Lebensjahr einen Schleier tragen müssen, während sich Jungen dem Wetter entsprechend kleiden, ohne Einschränkung spielen, rennen und lachen dürfen, erleben ihre Kindheit in Fesseln. Von diesem frühen Alter an verinnerlichen Mädchen die Vorstellung, dass ihre Körper sündhaft und schändlich sind. So habe ich es erlebt, als ich im Iran aufwuchs. Da ich gezwungen war, mich nach einem vorgegebenen Muster zu verhalten und zu kleiden, empfand ich mein Leben als etwas Abgeschiedenes und Schamerfülltes. Ich war von meinem eigenen Körper entfremdet, nahm ihn als Quelle der Versuchung für das andere Geschlecht wahr. Ich betrachtete mich als Objekt der Begierde, nicht als Mensch mit Wahlmöglichkeiten und eigener Sexualität. Der Schleier, den zu tragen ich gezwungen war, war das Symbol für diese Entfremdung von mir selbst und den anderen.
Schon in jungen Jahren verfiel ich der Welt der Literatur. Mit dreizehn konnte ich eine ganze Reihe moderner und klassischer Gedichte auswendig, von Rumi aus dem 7. Jahrhundert bis zur feministischen Dichterin Forugh Farrochhzad (1934-1967). Literatur wurde mein Zufluchtsort, mein Rettungsanker. Als ich zu schreiben begann, erkannte ich, dass der Ausdruck meiner selbst das genaue Gegenteil der Abgeschiedenheit, Entfremdung und Unterdrückung war, die mir die Verschleierung aufgezwungen hatte. Schreiben heißt, sich selbst enthüllen. Schreibend entblößt und enthüllt man sich, überwindet Hindernisse und Mauern und reicht über das Schreiben hinaus, verbindet sich mit der Welt. Gute Texte sind Mittel zur Reflexion und Welterkundung, sie geben sich nicht mit Zweideutigkeiten oder Klischees zufrieden und heben die Folgen der Zwangsverschleierung auf. Der bloße Akt des Schreibens war und ist für Frauen im Iran und anderswo ein Akt der Rebellion, ganz unabhängig von Inhalt und Stil. Ein genauer Blick auf die Unterschiede zwischen den Büchern, die vor und nach dem Hijab-Zwang veröffentlicht wurden, lässt jedoch eine große Verschiebung im Bewusstsein weiblicher Schriftstellerinnen erkennen.
Vieles von dem, was iranische Schriftstellerinnen vor der Islamischen Revolution von 1979 veröffentlicht haben, ließ jedes feministische Bewusstsein vermissen. Zari, die Protagonistin von Simin Daneschwars Meisterwerk Suwaschun (1969), ist eine weitgehend passive Figur. Der Roman spielt in Schiras während der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs und nach der Besatzung des Südirans durch die britischen Alliierten. Wie ihren Mann Yousef auch beschäftigen Zari Fragen des Imperialismus und die ungerechte Behandlung der Landbevölkerung, aber für Geschlechtergerechtigkeit interessiert sie sich nicht. Die Revolution bleibt in diesem Roman den Männern vorbehalten. Zaris mutigste Handlung besteht lediglich darin, die Beerdigung ihres widerständigen Ehemannes in einen öffentlichen Protest zu überführen, womit sie ihrer traditionellen Rolle als Ehefrau treu bleibt. Kaukab, die Protagonistin von Daneschwars Kurzgeschichte Be Ki Salaam Konam (etwa: „Wen soll ich grüßen“) suggeriert, dass „richtige“ Männer gut zu Frauen sind, solange die Frauen ihnen keinen Anlass geben, nicht mehr gut zu ihnen zu sein. Kaukabs Schwiegersohn, der ihre Tochter misshandelt, ist in ihren Augen folglich ein atypischer Mann, ein namard oder „Nicht-Mann“.
Interessanterweise hat der seit den 1980er Jahren bestehende Hijab-Zwang die Frauen nicht zum Schweigen gebracht. Er hat ihr feministisches Bewusstsein sogar gestärkt. Schreiben ist zu einem der wichtigsten Instrumente geworden, um sich gegen die Beschränkungen des eigenen Lebens zu wehren und Kommunikationsbarrieren zu überwinden. Die Zahl der Publikationen von und über Frauen ist sprunghaft angestiegen, Form und Inhalt haben sich völlig gewandelt, die Texte spielen inzwischen mit der literarischen Form, leisten kreativen Widerstand gegen sexuelle und Geschlechterunterdrückung.
Schahrnusch Parsipurs Roman Frauen ohne Männer (1990) ist ein gutes Beispiel für ein Buch, das Tabus gebrochen hat, indem es Geschichten von Frauen erzählte, die soziale und sexuelle Freizügigkeit leben. Parsipur, die viermal inhaftiert und deren Buch verboten wurde, hat weibliche Charaktere erschaffen, die über die sexuelle Unterdrückung von Frauen sprechen, ihre Sexualität zum Ausdruck bringen, sich über Keuschheit lustig machen und ihren Widerstand gegen eine von Männern dominierte Kultur bekunden.
Dieser Wandel im Schreiben iranischer Frauen nach der Iranischen Revolution geht auf die Enttäuschung zurück, dass die Forderung, selbst wählen zu dürfen, sowohl von politischen Weggefährten als auch von Oppositionellen, letztlich von allen Männern und unabhängig von der politischen Orientierung, ignoriert wurde. Es kann daher nicht überraschen, dass im Iran zwischen 1983 und 1985 trotz strenger Zensur und Papierknappheit etwa 126 Bücher von oder über Frauen erschienen sind. Als man sie zwang, ihre Körper zu verschleiern, haben die Frauen ihre Stimmen befreit und als Dichterinnen und Schriftstellerinnen die Welt beschrieben, in der sie lebten.
Auch mir ging es so. Indem ich schreibend zu meiner Stimme fand, habe ich mich entschleiert. Je mehr ich las, umso dringlicher und vergeblicher suchte ich in der persischen und der englischsprachigen Weltliteratur nach mir selbst. Aber niemand hatte über kurdische Frauen geschrieben, und so wurde mir klar, dass es an mir lag, das nachzuholen. Ich erhielt ein Stipendium, um meinen Master in Englisch und Creative Writing an der University of Windsor in Kanada zu machen und verließ 2007 den Iran – für immer.
So begannen meine Jahre im Exil – Jahre des Schreibens.
Viel zu lange wurden weibliche literarische Stimmen und weibliche Körper unterdrückt. Und trotz des hohen Preises haben iranische Frauen geschrieben. Seit uns das Hijab-Gesetz dazu gezwungen hat, unser physisches Selbst zu verschleiern, ist das Schreiben unser Mittel zur Entschleierung geworden – eine Form der Autonomie. Für mich war das Schreiben entscheidend: ein Akt der Wiedergeburt und des Widerstands.
Autorin: Ava Homa ist die Autorin von Daughters of Smoke and Fire (2020). Der Roman erzählt fünfzig Jahre moderner kurdischer Geschichte. Homa ist Aktivistin und Journalistin und hat einen MA in Englisch und Creative Writing an der University of Windsor in Kanada absolviert. Ihre Short-Story-Sammlung über moderne iranische Frauen, Echoes from the Other Land (2010), wurde für den Frank O'Connor International Prize nominiert. Sie erhielt als erste das PEN Canada-Humber College Writers-In-Exile Scholarship. Sie können mit ihr in Kontakt treten unter: www.avahoma.com.
Übersetzung aus dem Englischen: Gregor Runge, geb. 1981, hat unter anderem am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Er übersetzt seit 2007 Texte aller Art, seit 2013 auch Literatur. Er hat unter anderem E.M. Forster, Christopher Isherwood und Yrsa Daley-Ward übersetzt. Im Februar 2021 erscheint im Arche Verlag seine Übersetzung von Hilary Leichters Roman „Temporary“ (dt.: Die Hauptsache).
Kuration: Sandra Hetzl (*1980 in München) übersetzt literarische Texte aus dem Arabischen, u.a. von Rasha Abbas, Mohammad Al Attar, Kadhem Khanjar, Bushra al-Maktari, Aref Hamza, Aboud Saeed, Assaf Alassaf und Raif Badawi, und manchmal schreibt sie auch. Sie hat einen Master in Visual Culture Studies von der Universität der Künste in Berlin, ist Gründerin des Literaturkollektivs 10/11 für zeitgenössische arabische Literatur und des Mini-Literaturfestivals Downtown Spandau Medina.
Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie „Blick zurück nach vorn“ . Anlässlich von zehn Jahren Revolution in Nordafrika und Westasien schildern die Autor/innen dabei aus verschiedensten Kontexten, was sie hoffen, wovon sie träumen, was sie sich fragen und woran sie zweifeln. In ihren literarischen Essays wird deutlich, wie wichtig die persönlichen Auseinandersetzungen sind, um politische Alternativen zu entwickeln, und was jenseits der großen Ziele erreicht wurde.
Mit dem anhaltenden Kampf gegen autoritäre Regime, für Menschenwürde und politische Reformen beschäftigen wir uns darüber hinaus in multimedialen Projekten: In unserer digitalen scroll-story „Aufgeben hat keine Zukunft“ stellen wir drei Aktivist/innen aus Ägypten, Tunesien und Syrien vor, die zeigen, dass die Revolutionen weitergehen.
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht bei HBS.